ԼԻԲՐԵՏՈ ԱՆԱՊԱՏԻ ՀԱՄԱՐ
LIBRETTO FÜR DIE WÜSTE
Grüß euch meine Wüstenschwestern
Bräute der Wüste
herzlichen Gruß
eine Dichterin rührt
mit einer Schöpfkelle
die höllische Esse von Deir ez-Zor
und eure edlen Gesichter
erwachen wieder
eines nach dem anderen
aus dem undurchsichtigen Rauch
hilf mir Muse der Wüste
ohne dich kann ich nicht
reimen
das ungleichmäßige
Geklapper der Knochen
selbst das Rauschen des Windes:
fähig zum Lied zu werden -
an einem anderen Ort
hör zu
wichtig ist meine Geschichte
in Schweigen versunken
größer als Gott
hier:
im verschwendeten Sand
wie der Same des Adlers - auf dem Stein
auf seine Blütezeit wartet
der Same des Vollkommensten
kannst du dir meine Geschichte anhören?
du - sorglos an deinen Liebling gelehnt
ohne die Reime zu zählen
meine sich wiederholenden Zeilen: zurück und nach vorn
der Wind ist mein Lehrer und der Schmerz
beide zur Wiederholung geneigt
hör zu… du musst es
weil
ich die letzte Braut von Deir ez-Zor bin
mein Schleier
ist ein Staubwirbel des Sandes
ich laufe
indem ich die Wüste
einem Zusatz gleich
über mein Brautkleid ziehe
ich bin die dem Tod um Haaresbreite entkommene fliehende Jungfrau
mit schmerzlich brennenden Knien in den Sanden
die durch den Jatagan unterbrochene Jungfrau
das Gespenst mit blutigem Schleier
im Alptraum eurer Träume
Keine Jungfrau soll in der Wüste
Braut werden - außer mir
ich bin die letzte Braut von Deir ez-Zor
die durch den Jatagan unterbrochene Jungfrau
mit unsäglich
geschwätzigen Kiefern
die bis zu den Knien im Sand Steckende
aber ich war nicht immer so
eine Meerjungfrau war ich früher
mit einem schmucken Schwanz
in dem sich vom Meer zum Meer erstreckenden Armenien
bis hin zum verhängnisvollen
Tagesanbruch
als ich meine Schuppen wegschüttete und
in der versengten Hölle der Wüste
auftauchte
mit undurchsichtigen Socken
des Flüchtlings
ich bin die Jungfrau ... die Konkubine und Dienerin
der zuhälterischen Wüste:
der Frauenhändlerin
das Gespenst und die Poetin derjenigen
deren Körper auf dem Wasser nicht schwammen
und mit blumenduftendem Salböl
nicht reichlich gesalbt wurden
wahrlich
sind selig die Mädchen
die Wasserlilien
die wie Tänzerinnen
Hand in Hand synchron
in den Euphrat sprangen
und die Blumen in den Schößen mischten
mit dem glänzenden lachfreudigen Schaum
derjenigen - die instinktiv ihre röslichen Unterschenkel
schaukelten unter der Sonne
und die Brüste reichlich
füllten
mit dem milch
farbenen Licht der Morgenröte
die schwammen
und später erst erstarrten
mit undurchsichtigen Augen - gleichsam ein Bild
gelöst mit Wasserfarben
hilf mir Muse der Wüste
ich will für jene singen
jene mit dornigem Haar
die krochen
bis zum Tod
mit blutigen Knien - unter der Sonne
und mit staubigen Lippen
das gelbe Dunkel der Sande noch trinken
trallala
trallala
selig ist das Mädchen Anush* - oh weh
für die Hochzeit ohne Braut
selig ist der fiebernde Knabe Gikor**
für die Vision des Delirierenden -
nicht Trugbilder bringt den Augen
die talentlose Sonne der Wüste
sondern nur staubige Luftspiegelungen
von verrückt
fliehenden Jungfrauen mit gelösten Haaren
und sich wie die Jesus-Fische
unendlich vervielfältigende
Jatagane
im gelben Spiegel der Steppe
die Dornpflanzen erinnern sich
sie können auch vorsagen wenn du zuhörst
einfach ist es schwer Gehör zu schenken -
das Ohr auf sie zu legen
wer soll denn dann erzählen?
wenn nicht ich
ich - die letzte Hoffnung
die letzte Zeugin
die letzte Poetin der Wüste
ich bin die Jungfrau ... die Konkubine und Dienerin
der zuhälterischen Wüste: der Frauenhändlerin
selig sind diejenigen deren Knien
sich nicht geöffnet haben aus Angst vor dem Jatagan
ich bin die letzte Braut von Deir ez-Zor
die einzige Chorleiterin des Jenseits
die Winde wehen und drehen um
unendlich
alles
auf den Kopf
ich bin die auf den Kopf Gestellte - die Dirigentin
der eineinhalb Millionen
im Jenseits
ich bin das Gespenst im weißen Frack
im Alptraum eurer Träume
mein Taktstock bewegt sich unter dem Sand
Gott sieht zu und erblickt nicht
(der graue Alte mit grauem Star)
derjenige
der von Hölle spricht
kann auch auf Gott schimpfen
hört zu -
ich bin die letzte Zeugin
der letzte Blick der Wüste
ich habe den Durst der Wüste gesehen
in den keuchenden Augen des Sultans
und die Distel seiner Adern
hört mir aufmerksam zu - denn
ich bin die ewige Jungfrau
des Epos
mein Fall ist der Fall des Gens der Frau
des Gens des Orients
und
und des Okzidents
meine Niederlage - ist die Niederlage
der Unschuld
mein Ende ist das Ende des Alls
aller Anfänge unter dem Himmel
ich bin das Sammelgespenst
aller Jungfrauen - unter dem Sand
meine Hüften haben Staub gesammelt
hundert Jahre lang
an des Samens des Geliebten statt
ich bin die Konkubine der fruchtlosen Wüste
in meinen Becken sind Disteln und Erde
meine Rockzipfel haben nur Dornen gesammelt
hundert Jahre lang
es gibt zwei Arten von Dornen in der Wüste
der eine sticht dir in die Füße
der andere: in die Erinnerung und … das Übrige
ich bin die letzte Wächterin
der Wüste
die Zeit endet
unter meinen Augenlidern
ich bin die Sanduhr
mit schlanker Taille
die Zeit ist anders in der Wüste
sie sickert gelb
wie der Sand
durch die polierten Trichter der Kehlen
und hält die knöchernen Zeiger
auf der Stunde des Todes - ewig
ich bin die letzte Braut von Deir ez-Zor
die letzte Kennerin der Wüste
imstande mit geschlossenen Augen
den Weg der Hölle zu finden:
in den Sanden
folglich: wer sonst
wenn nicht ich
würde diese Geschichte
besser erzählen?
und wenn dich nicht bewegt
das Entschwinden
von eineinhalb Millionen - unter dem Sand
dann … du … was für ein Mensch bist du
was für ein Mensch bist du
eigentlich?
hör nun meiner Geschichte zu
du bist meine Hoffnung
die Welt ist benommen - Gott ist alt
(wer von der Hölle spricht
kann auch auf Gott schimpfen)
hörst du?..
heulend kommt er
der Wind kehrt zurück
an den Tatort
um das Lebendige ein weiteres Mal zu mischen
hört ihr - ich bin die Schreiende
mit dornigen Locken
zerfilzt
ich bin die um Haaresbreite entkommene fliehende Jungfrau
hör zu - hörst du zu? - ich schließe ab
fasse das Jahrhundert in einem Vierzeiler zusammen
... es gibt zwei Arten von Wind in der Wüste
den einen - der vom Norden weht und die Knochen
im Sand bewegt
den anderen - der vom Süden weht und den Sand
in den Knochen bewegt...
p.s. hilf mir Muse
siehst du nicht?
die in den Stauben
erstickten Schreie
werden nicht zu Gesängen
unendlich
die Meduse der unmessbaren Knochen im Sand
wird nicht zum
Mythos
* Heldin im Poem von Hovhannes Tumanyan „Anush“, die eine Vision von ihrer nicht stattgefundenen Hochzeit ohne Brautpaar hat.
** Ein anderer Held Tumanyans: Ein zehnjähriger Knabe dient im Haus eines Reichen. Im Todesbett erscheinen ihm die Gestalten seiner Familienangehörigen.
Übersetzt von Hrachya Stepanyan